Wirtschaftlicher Einbruch in der Branche hält an
Hessische Pharma- und Chemieindustrie steht weiterhin unter enormem Druck
Donnerstag, 20. März 2025
| Redaktion
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Die Produktion der hessischen Chemieindustrie war 2024 analog zur Entwicklung in Deutschland stark rückläufig
Die Produktion der hessischen Chemieindustrie war 2024 analog zur Entwicklung in Deutschland stark rückläufig, Bild: Screenshot vom Frühjahrspressegespräch Hessen-Chemie und VCI Hessen

Sinkende Umsätze, stagnierende Produktion und steigende Standortkosten belasten die Unternehmen massiv. So lautete der Tenor auf dem Frühjahrspressegespräch der Chemieverbände Arbeitgeberverband Hessen-Chemie und der VCI Hessen. Das betrifft insbesondere die energieintensiven Chemieindustrie. Die pharmazeutische Industrie befürchtet mögliche Einschnitte durch drohende Handelskonflikte. Von der künftigen Bundesregierung fordern sie eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik und umfassende Reformen.

„Die Alarmzeichen stehen weiterhin auf Rot. Die chemisch-pharmazeutische Industrie verharrt in der Rezession“, warnt Oliver Coenenberg von Sanofi-Aventis Deutschland und Vorstandsvorsitzender von Hessen-Chemie. Die Produktion stagnierte 2024, während die Verkaufspreise um 0,7 Prozent und der Gesamtumsatz um 0,9 Prozent zurückgingen. „Die Konsequenzen der Talfahrt sind gravierend: Investitionen werden zurückgefahren, Produktionskapazitäten gedrosselt und Arbeitsplätze abgebaut“, so Coenenberg. Er betont, dass die anhaltende Krise bereits zu einer spürbaren Investitionszurückhaltung für das Inland führt. 76 Prozent der befragten Unternehmen gehen demnach von einer Stagnation, beziehungsweise von einer Abnahme des Investitionsvolumens für dieses Jahr aus.

Dr. Joachim Kreysing von Infraserv Höchst und Vorsitzender des VCI Hessen, ergänzt: „Wir stehen vor entscheidenden Herausforderungen für die Chemie- und Pharmaindustrie in Hessen, aber auch darüber hinaus. Es geht um nichts weniger, als die Zukunftsfähigkeit unseres Industriestandorts und damit um Wohlstand, Innovation und Lebensqualität in Deutschland.“

Hessische Chemieindustrie erheblich geschwächt

Besonders schwierig ist die Lage für die energieintensiven Chemiebetriebe. Hier zeigt sich, dass die hiesigen Kostenstrukturen nicht mehr wettbewerbsfähig sind. In der Folge werden Anlagen gedrosselt oder auch stillgelegt. Die Beschäftigung ist um fast zwei Prozent zurückgegangen. Die Verkaufspreise für Chemieerzeugnisse können dem nichts entgegensetzen. Nachdem sie bereits 2023 zurückgegangen waren, hat die anhaltend schwache Nachfrage die Preise auch letztes Jahr nochmals um knapp drei Prozent sinken lassen. Gegenüber dem Vorjahr ist die Produktion in der Chemiebranche nochmals um gut zwei Prozent zurückgegangen. Seit 2021 ist damit ein Produktionseinbruch von 28 Prozent zu verzeichnen. „Der Umsatz ist in der klassischen Chemie um elf Prozent auf 13,2 Milliarden Euro gesunken. In zwei Jahren war das ein Absturz um insgesamt 30,5 Prozent“, beklagt Coenenberg. 

Pharmaindustrie verzeichnet erfreulichen Verlauf 2024 mit abgeschwächter Dynamik

Während die klassische Chemie tief in der Krise steckt, zeigt sich die pharmazeutische Industrie bisher stabiler. Der Pharmaumsatz in Hessen belief sich 2024 auf gut 18,1 Milliarden Euro. Dies ist eine Steigerung um acht Prozent. Die Verkaufspreise stiegen um 2,4 Prozent, nur noch halb so stark wie im Vorjahr. Der Produktionszuwachs lag mit 1,5 Prozent auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Mögliche Handelskonflikte könnten auch für die Pharmabranche empfindliche Einschnitte bedeuten. Hessen exportiert pharmazeutische Erzeugnisse im Wert von rund drei Milliarden Euro in die USA.

Erholung der Pharma- und Chemieindustrie frühestens für 2026 erwartet

Die Verbandsumfrage aus dem Februar 2025 verdeutlicht die anhaltend schwierige Lage in der chemisch-pharmazeutischen Industrie: 90 Prozent der Unternehmen betrachten den Fachkräftemangel als größtes Risiko, gefolgt von ungünstigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (89 Prozent) und steigenden Arbeitskosten (81 Prozent). Auch die hohen Energie- und Rohstoffpreise (73 Prozent) und der gestiegene Krankenstand (61 Prozent) setzen die Industrie massiv unter Druck.

Das Geschäft wächst im Gegensatz zu den Kosten nicht mit. Für das laufende Jahr sind bei 81 Prozent der befragten Unternehmen umfangreiche Kostensenkungsprogramme vorgesehen. Mit einer spürbaren Erholung des Geschäfts rechnen 91 Prozent der befragten Unternehmen frühestens für das Jahr 2026.

Forderungen an die nächste Bundesregierung

Die Chemieverbände Hessen fordern von der kommenden Bundesregierung strukturelle Reformen und eine klare wirtschaftspolitische Neuausrichtung. „Die geplanten Investitionen in Sicherheit und Infrastruktur sind angesichts der Herausforderungen wichtige Schritte. Es braucht jetzt aber mehr als schuldenfinanzierte Programme. Ohne eine Sozialreform wird der wirtschaftliche Aufschwung nicht gelingen. Erst wenn die Sozialabgaben auf maximal 40 Prozent begrenzt werden, gewinnt der Standort für Unternehmen und Investitionen wieder an Attraktivität“, sagt Coenenberg. Und Kreysing betont abschließend: „Die innovative Chemie- und Pharmaindustrie ist Hessens umsatzstärkster Wirtschaftszweig und größter industrieller Arbeitgeber. Es sollte uns allen gemeinsam daran gelegen sein, jetzt die Weichen richtig zu stellen.“

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